Für Berufsschüler in Rorschach ist das Laptop ab dem Sommer ein Muss: Wieso die Digitalisierung trotzdem nicht überbewertet wird
Sie unterrichten seit fünf Jahren auch digital. Wie hat dies den praktischen Unterricht verändert?
Andreas Sprunger: Digital arbeiten wir natürlich schon länger – vorher waren die Phasen aber klarer definiert. Ein Gang ins Informatikzimmer oder Infos ab dem Lehrer-PC ermöglichten den Zugang zur digitalen Welt. Der digitale Einzug ins Klassenzimmer hat «schleichend» stattgefunden, danach systematischer. Die Tatsache, dass die Zahl der Lernenden mit Smartphones bei nahezu 100 Prozent liegt, liess den Lehrpersonen die Entscheidung, die Geräte aus dem Zimmer zu verbannen oder aus der Not eine Tugend zu machen und den bestmöglichen Nutzen zu erzielen.
Was heisst das im Unterrichtsalltag?
Informationen, die vorher Lehrpersonen den Lernenden selektiv zur Verfügung stellten, sind heute für alle mühelos verfügbar. Die Veränderungen im praktischen Unterricht sind nicht immer offensichtlich, aber die Lernwege sind kürzer, vielfältiger und individueller. Ein Beispiel – anstatt dass die Lehrperson einen Film über den Beamer abspielt, schauen sich die Lernenden die Sequenz über ihr Smartphone an und können einen Ausschnitt mehrmals anhören. Neue Lehr- und Lernformen sind möglich, so können beispielsweise Lernende Lernvideos erstellen und so Gelerntes kreativ darstellen. Ganz ohne Papier geht es nicht, aber wir können sehr viele Informationen mittels QR-Codes oder Links zur Verfügung stellen. Lernende können Arbeiten digital erstellen und den Lehrpersonen auch digital abgeben.
Hat Corona zu einer Beschleunigung bei der Umsetzung geführt?
Der Distanzunterricht im vergangenen Jahr war für Lernende und Lehrpersonen eine grosse Herausforderung, die Lernkurve hingegen war enorm steil. Zwangslagen in der Bildung sind selten hilfreich, aber hier hat es extrem geholfen, weil einerseits kaum Alternativen bestanden, und andererseits haben wir alle im tiefen Wasser schnell schwimmen gelernt. Tiefgreifende Änderungen im Bildungswesen erfolgen normalerweise nicht so schnell.
Wie fallen Erfahrung und Bilanz mit den zwei Pilotklassen aus?
Die Erfahrungen mit unseren Pilotklassen waren positiv – auch wenn der Schulstart anfangs chaotischer ausfiel. Einige Lernende haben bereits in der Oberstufe in ähnlichen Umgebungen gearbeitet, für andere war das komplett Neuland. Es braucht Zeit, Geduld und Disziplin. Die Ablenkungsmöglichkeiten sind gross – dies verlangt von den Lehrpersonen eine klare Planung und ein Angebot spannender Inhalte. Im Sommer 2020 haben wir aufgrund der Rückschlüsse dann bereits in der Logistikabteilung das BYOD für alle neueintretenden Lernenden eingeführt. In der Abteilung Maschinenbau arbeiten die neu eingetretenen Polymechaniker und Konstrukteure ebenfalls seit Sommer auf der Basis von BYOD.
Ist die Infrastruktur im BZR bereit für die neuen Anforderungen?
BYOD ist ein Puzzlestein im Zeitalter der digitalen Veränderung. Die Einführung wurde als strategisches Projekt seit 2015 im Rahmen der digitalen Transformation konzeptioniert und umgesetzt. Wir sind bereit für die Anforderungen. Zentrale Punkte wie Bandbreiten für WLAN, Stromversorgung usw. sind bereits umgesetzt. Die Weiterbildung der Lehrpersonen, die Anpassung des Lernstoffs und der Lernmethoden sind weitere Bausteine, diese dauern länger und sind auch viel individueller.
Sind alle Lehrpersonen parat für BYOD?
Der Lockdown hat geholfen, den Prozess und die Notwendigkeit in den Köpfen zu verankern und damit auch zu beschleunigen. Wir sind auch organisatorisch gut aufgestellt, haben pädagogischen ICT-Support, der den Lehrerkolleginnen und -kollegen zur Seite steht. Des Weiteren arbeiten wir mit Elementen wie Office365 sowie der Lernplattform Moodle. Sie sehen, BYOD ist sehr vielschichtig.
Bei welchen Berufsgruppen stossen Sie auf Widerstand?
Ich würde nicht sagen, dass Widerstand berufsgruppen-, alters- oder abteilungsbezogen ist. Es steht und fällt mit der Offenheit der Lehrperson und auch der Lernenden, zusammen neue Wege zu gehen, den Nutzen zu erkennen und in den eigenen Unterrichtsstil einfliessen zu lassen. Natürlich gibt es Berufsgruppen, die einen natürlicheren Bezug haben, weil Computer auch im Berufsalltag eingesetzt werden. Es gibt aber keine Berufsgruppe mehr, wo der Computer bzw. die Digitalisierung im Berufsalltag nicht in irgendeiner Form eine Rolle spielen. Deshalb würde ich weniger von Widerstand sprechen als vom individuellen Tempo, in dem solche Veränderungen angegangen und akzeptiert werden. Ausschliessen kann sich aus diesem Prozess aber niemand, das ist wichtig.
Was müssen die Lernenden an Hardware mitbringen, was ist mit jenen, die kein Laptop haben?
Wir geben klare Spezifikationen vor, zentral sind etwa Touchscreen bzw. Stifteingabe für erweiterte Möglichkeiten, ein einfacher Laptop reicht also nicht mehr aus. Wir haben einen Webshop eingerichtet, wo Lernende geeignete Geräte zu einem Vorzugspreis kaufen können. Teilweise unterstützen auch die Lehrbetriebe die Anschaffung oder stellen sogar Geräte zur Verfügung.
Stellt das BZR Leihgeräte zur Verfügung?
Wir erwarten einige wenige Härtefälle, wo die finanziellen Mittel nicht ausreichen und der Lehrbetrieb keine Hand bietet. Uns schwebt die Beschaffung einiger Leihgeräte vor. Eine Vereinbarung mit dem Lernenden stellt die mittelfristige Finanzierung eines eigenen Gerätes sicher, damit das Leihgerät unserer Schule wieder zur Verfügung steht. Für die Finanzierung dieser Leihgeräte wollen wir neue Wege gehen, das ist noch nicht spruchreif.
Wird nun durch die Digitalisierung alles besser – wird das Laptop zur Wunderwaffe in der Ausbildung?
Mit der Einführung von BYOD sind Erwartungshaltungen verbunden. Die Gefahr besteht, dass man glaubt, dass jetzt alles besser und einfacher wird. Dass dem nicht so ist, hat zum Beispiel die Einführung der Smartboards gezeigt, welche als «Wunderwaffe» und «Must-have» angepriesen und dann in vielen Schulzimmern kaum je zweckgerichtet eingesetzt wurden. Eine Schule ohne Smartboards war keine moderne Schule. Dies trifft auf die Smartboards genauso zu wie auf den Unterricht mit BYOD. Keines der beiden verbessert automatisch den Unterricht, es ist eines von vielen Elementen, die zu gutem Unterricht beitragen können.
Ist BYOD also als ein nützliches Unterrichtselement zu sehen?
Der Unterricht wird nicht komplett auf den Kopf gestellt – BYOD sollte auch nicht den Unterricht steuern, sondern dient dazu, neue Lehr- und Lernformen zu ermöglichen, Kompetenzen zu schärfen und alle Beteiligten zu unterstützen. Diese neuen Lernsettings unterstützen zeit- und ortsunabhängiges Lernen in Selbstverantwortung, damit ist auch eine erhöhte individuelle Förderung möglich. Der kreative Einsatz sowie bewährte Unterrichtselemente nehmen weiterhin ihren berechtigten Platz ein. Das Umsetzungstempo von BYOD wird Zeit und Einsatz benötigen, wir sind aber überzeugt davon, dass wir damit einen Mehrwert für unsere Lernenden generieren können.
Rudolf Hirtl , St. Galler Tagblatt