Ein knappes SMS als Entschuldigung reicht nicht
Am Morgen unter der Bettdecke rasch ein paar Sätze ins Handy tippen: Damit ist es nicht getan. Wer zu krank oder bequem ist, um in die Berufsschule oder zur Arbeit zu gehen, muss sich zu einem persönlichen Telefongespräch aufraffen.
«Ich will hören, wie der Lehrling tönt», sagt Michael Tobler, Geschäftsführer der Baugerüste Bläsi AG in Rheineck. Bildschirme seien geduldig. «Meldet sich jemand nur per SMS oder E-Mail ab, rufe ich sofort zurück.» Das ermöglicht nachfragende Worte und lässt die Verantwortlichen spüren, wie es um die Jugendlichen steht.
E-Mail bestätigt die verpassten Lektionen
Der persönliche Kontakt lasse die Lehrlingsverantwortlichen auch frühzeitig eingreifen, falls Unterstützung gebraucht oder ein Notfall vorliegen würde. Ähnlich sieht es Marcel Capeder, Lehrlingsverantwortlicher der Starrag AG in Rorschacherberg. «Manchmal kann es auch sein, dass die Lernenden später noch kommen.» Der psychologische Aspekt spielt beim persönlichen Kontakt eine massgebliche Rolle. Die Hemmschwelle zu fehlen ist höher, wenn der Chef einen triftigen Grund hören will. Wenn Lehrlinge die Absender sind, ist der elektronische Informationsfluss zwar unerwünscht. Andererseits erhält der Kanal doch immer mehr Gewicht. Dann nämlich, wenn die Berufsschule am anderen Ende ist.
Fehlen die Lernenden, verlangt das BZR zuerst eine Abmeldung beim Sekretariat. In einem weiteren Schritt notiert die Lehrperson dies in einer entsprechenden Software. Am Abend des Schultages erhält der Lehrbetrieb eine Absenzmeldung per E-Mail.
«Es geht nicht darum, Strichlisten zu führen»
Damit wird jede verpasste Lektion festgehalten. «Ein Schultag wird gleich behandelt wie ein bezahlter Arbeitstag», sagt Philipp Müller, Leiter der kaufmännischen Berufe am BZR in Altstätten. «Deshalb ist die Schule dem Lehrbetrieb verpflichtet und wir informieren entsprechend.» Der Vorteil der elektronischen Absenzmeldung zeigt sich, wenn Lernende oft fehlen. Ab 20 verpassten Lektionen pro Semester blinkt eine rote Lampe im System. Ist jemand krankheitshalber drei Tage und mehr abwesend, wird ein Arztzeugnis verlangt. Trotz Kontrolle begegnet die Schulleitung den jungen Erwachsenen mit Respekt. «Es geht nicht darum, Strichlisten zu führen, wenn jemand fehlt», sagt Philipp Müller. Absenzen seien in jedem Fall zum Nachteil der Lernenden. Verpassten Schulstoff aufzuarbeiten, ist mit Mühen verbunden. «In erster Linie geht es den Lernenden und uns darum, dass sie den Lehrabschluss erfolgreich bestehen», sagt Philipp Müller. Das Berufs- und Weiterbildungszentrum Rorschach-Rheintal, kurz BZR, hat das elektronische Absenzenmanagement vor acht Jahren eingeführt. «Wir haben damit das bisherige Absenzbüchlein abgeschafft», sagt Rolf Grunauer, Rektor des BZR. Darin wurden die Fehltage festgehalten und per Unterschrift bestätigt. «Aber nach 14 Tagen war es oft sehr schwierig, den wahren Grund des Fehlens zu eruieren.» Das neue System wurde in Zusammenarbeit mit Partnern und anderen Berufsfachschulen entwickelt und bei der Einführung wurde darauf geachtet, die heutigen Technologien einzubinden.
Die jungen Erwachsenen aufmerksam begleiten
Ist der Grund der Absenz nicht nachvollziehbar, kommt es zeitnah zur Aussprache. «So löst man Probleme unter Erwachsenen. Durch das persönliche Gespräch werden Missverständnisse schnell und verbindlich geklärt», sagt der Rektor. Stellt sich heraus, dass es sich um eine unentschuldigte Absenz handelt, wird der Lernende von der Schule verwarnt. Verfahrensgebühren zu Lasten der Lernenden oder zusätzliche Arbeit sind weitere disziplinarische Möglichkeiten. «Die schnelle Meldung ermöglicht es den Lehrbetrieben, gezielt und wirksam zu reagieren», erklärt Rolf Grunauer die Vorteile. Das jetzige System sei daher effizient und lösungsorientiert. Die Berufsbildner schätzen die schnelle Kommunikation.
«Es gibt solche Vögel, die schwänzen – früher wie heute», sagt Philipp Müller. Aber er stellt den Berufsschülern am Standort des BZR in Altstätten ein gutes Zeugnis aus. «Wenn es hochkommt, gibt es zwei Verwarnungen pro Jahr bei 600 Schülern.» Meistens sind dafür tiefer liegende Probleme die Ursache. Familie, Liebe, Freizeit, Druck am Ausbildungsplatz – die jungen Leute befinden sich während der Lehrzeit in einer sensiblen Lebensphase. Für Philipp Müller und Rolf Grunauer ist es ein Anliegen, aufmerksam hinzuschauen und wo nötig Hilfe anzubieten.
Eine solche Nähe und Begleitung steht auch bei Michael Tobler, der Baugerüste Bläsi AG im Vordergrund. Er kennt seine Lehrlinge und würde merken, wenn sich einer drückt. Es kam schon vor, gibt er zu und schmunzelt: «Dann halte ich eben eine Standpauke».
St.Galler Tagblatt - Hildegard Bickel
Foto: Ines Biedenkapp